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Ergänzender Text zur Autobiographie von Tomáš Měšťánek

Der akademische Maler und bravouröse Zeichner geht seinen eigenen Weg in der heutigen Welt der Kunst, der sich durch eine absolute formelle und thematische Freiheit auszeichnet, ohne den Modetrends und Einflüssen zu unterliegen. Seine Werke charakterisiert die Art und Weise, wie er den Prozess der Entstehung seiner Bilder erlebt – der gespannte expressive Ausdruck an der Grenze zur Abstraktion, die ironische Selbstreflexion und der kritische Abstand, aber vor allem die animalische Unersättlichkeit, mit der er auf der Leinwand das Leben greift, immer voll und ohne Kompromisse, unter Einbeziehung persönlicher, manchmal auch schmerzhafter Erlebnisse und Erfahrungen. Měšťánek begeistert mit dramatischer figuraler Malerei, die oft auf aggressiv wirkenden Kontrasten und Disharmonien aufbaut, wobei er sich von spontanen Gefühlen, der Kraft und Intuition seines Talents hinreißen lässt.

Ohne sich dessen sonderlich bewusst zu sein, sind wir alle auf eine gewisse Art und Weise durch die Zeit, die Umgebung und die Gesellschaft, in der wir leben und uns bewegen eingeschränkt und diese Einflüsse begleiten alle unsere Handlungen und Taten und insbesondere natürlich das künstlerische Schaffen. Das Leben und Schaffen von Tomáš Měšťánek, wurde von einigen Momenten und Situationen geleitet und beeinflusst. Schon seine Herkunft – er stammt aus einer intellektuellen Familie aus Březolupy (Vater - Geschichtsprofessor, Mutter – Lehrerin) – erleichterte dem künftigen Künstler die Grundorientierung in Bezug auf seinen weiteren Bildungsweg. Der nächste wichtige Moment in seinem Leben war die zufällige Begegnung mit der damals herausragendsten Persönlichkeit der Region Vladislav Vacula, der seine zeichnerischen Bemühungen lenkte und seine ersten Malversuche noch während seines Studiums an der mittleren Kunstindustrieschule in Uherské Hradiště korrigierte. Den Lebenslauf des zukünftigen Künstlers prägten selbstverständlich die Studienjahre (in Hradiště und später in Prag), die geknüpften Freundschaften (manche überdauern bis heute), seine Lebensphilosophie, ausgehend von der lateinischen Redewendung carpe diem mit der Ergänzung et noctem, sowie weitere Umstände. Bereits während seines Studiums auf der Kunstindustrieschule in Hradiště inklinierte Tomáš Měšťánek zur expressiven Auffassung der Malerei, basierend auf sensueller Einstellung zum Thema, Formmodifizierung und lockerer Arbeitsweise. Es war daher natürlich, dass er sein Talent an der Akademie der bildenden Künste in Prag im Atelier von Karel Souček weiter entwickelte. Die Malerateliers wurden damals von einflussreichen Kunstpersönlichkeiten geführt, die an der Gestaltung der vitalsten Ströme der künftigen Entwicklung beteiligt waren (František Jiroudek, Arnošt Paderlík, Karel Souček, Jan Smetana). Der Zwiespalt zwischen der offiziellen Doktrin des sozialistischen Realismus und der inoffiziellen alternativen Kultur und den liberalen künstlerischen Ideen, die durch den eisernen Vorhang aus Westeuropa durchsickerten, spiegelte sich jedoch im gesellschaftlichen Klima der Zeit und führte zum Verlust der moralischen Werte. Man versuchte dem zu entfliehen, in dem man sich befreundeten (Theoretiker-, Künstler- und Literaten-) Gemeinschaften anschloss, wo alle möglichen Probleme und paradoxe Umstände der Zeit lebhaft diskutiert wurden, oder man ertränkte seinen Frust in Alkohol und Sex. Das künstlerische Bewusstsein von Měšťánek formte sich also nicht nur unter dem Einfluss der Studienjahre in Prag, sondern auch aufgrund von weiteren Umständen, die aus dem Lebensstil der jungen, in einer widersprüchlichen Welt gefangenen Künstlergeneration hervorgingen. Der Studienabschluss bedeutete für Měšťánek keineswegs das Abreißen seiner Kontakte zu Prag, dem offiziellen tschechischen Kunstzentrum. Ein Beweis dafür ist seine Teilnahme an einer Reihe von Kollektivausstellungen (z. B. in der Špála-Galerie). Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre hatte auf den jungen Künstler jedoch das künstlerische Umfeld in Olomouc (hier lebte er fast zwei Jahre) und das damit verbundene „bohemische“ Leben einen entscheidenden Einfluss. Seit den 80er Jahren ist sein Leben vor allem mit Uherské Hradiště verbunden, wo er lebt und arbeitet. Seit den 90er Jahren erfährt der Künstler Anerkennung durch viele Ausstellungen in tschechischen und ausländischen Galerien, wo er die Gelegenheit hat, sein Werk als gesamtes vorzustellen. Er präsentiert sich im breiten Spektrum von Themen, die seinen expressiven künstlerischen Ausdruck zeigen. Měšťánek baut immer auf wahren Erlebnissen und Inhalten auf, seine Themen sind roh, er idealisiert nichts. Seine Bilder und Zeichnungen sind eng geknüpft an reelle Handlungen und wahre Lebenssituationen. Seine provozierende Ausdrucksform und technische Souveränität deuten darauf hin, dass wir es hier mit einem der bemerkenswertesten Maler im Bereich der figurativen expressiven Malerei zu tun haben. Diese Linie steht der tschechischen modernen Tradition am nächsten. Aktuell präsentiert Měšťánek seine Werke relativ oft in der Öffentlichkeit (Ausstellung in der Galerie Nová síň in Prag, in Uherský Brod, in Olomouc und Brno). Dabei erntet er die verdiente Bewunderung der Laien- sowie der Fachöffentlichkeit und weckt das Medieninteresse (Presse, Fachkritiken, Fernsehen – Sendung „Hinter der Tür ist A.G.“ u. ä.).

Bei Měšťánek steht immer der Mensch im Mittelpunkt (oft am Rande der menschlichen Existenz – Landstreicher, Obdachlose, Trinker, Drogensüchtige). Mit der heutigen Terminologie bezeichnet stellen die Bilder und Zeichnungen von Měšťánek eine umfangreiche soziologische Studie der Gesellschaft dar. Besser lässt sich diese moralische Skizze des heutigen, vor allem bürgerlichen Lebens wohl kaum bezeichnen. Zu seinen bisherigen, oft sozialen Themen eines Vorstadtlebens oder manchmal scheinbar banalen Situationen, wie zum Beispiel einem Besuch beim Friseur oder Zahnarzt, einem Fernsehabend oder Theaterbesuch kommt ein weiteres Thema: die Straße und die Stadt. Die Straßen einer Großstadt ähneln einem reißenden Fluss. Man spürt hier die Spuren von Lärm, Rauschen, Rauch. Die Menschen verlieren sich im Gewühl, durch die Straßen fließen Menschenmassen, eine unendliche Menge, ein neues Element, eine hundertköpfige Masse von namenlosen Statisten. In Měšťánek´s Auffassung ist die Straße mehr als ein Weg, es ist eine offene Gesellschaftsszene, auf der sich ein ewiges „teatrum mundi“ abspielt. Er zeigt die Armut, den Reichtum, den Ruhm, die Manipulation, Macht und Elend, löst Emotionen aus. Er hat seine Vielfältigkeit, seinen Ausdruck, seine Topographie, Typologie, seine Fußgänger, Gaffer, Obdachlosen, interessante Gestalten und weitere Figuren und bringt uns immer wieder neue interessante Zeugenschaften. Měšťánek zieht die Vielfalt des menschlichen Lebens an, und somit können wir mit ihm Imbisse, die Kneipe in Resslovka, den Bahnhof, Waschräume oder Bushaltestellen besuchen, die Orte, die dem Autor vertraut sind. Er beobachtet das Leben, das für die meisten von uns immer verborgen bleibt – das Leben von Obdachlosen und Bettlern an den Straßenecken. Auf seinen Leinwänden fängt er eine mit Alkohol, Drogen, Spiritus und Gleichgültigkeit getränkte Atmosphäre ein. Ob man sich dessen bewusst ist oder nicht, die Stadt hat Macht über uns, sie zieht einen in ihren Bann. Diese Beziehung hat viele Formen, die zwischen Bewunderung und Hass schwanken. Es bietet sich die Frage an, welchen Raum sie der modernen Existenz bietet? Ist der Mensch nur ein einsamer Läufer, ein Individuum verloren in der Masse? Doch auch in der Menge erlebt der Mensch eine tiefe Entfremdung, wehrt sich dagegen, mit der Masse zu verschmelzen, sein eigenes „Ich“ zu verlieren.

Měšťánek achtet nicht darauf, was gerade „in“ ist. Er kümmert sich nicht darum, wie man ihn sieht, fürchtet sich nicht vor Geschmacklosigkeit und es interessieren ihn keine Klischees. Er ist ein Maler, der an seinen Weg glaubt, mit allen seinen Erfolgen, Fehlern, Irrtümern und Missverständnissen.

Milada Frolcová, Kunsthistorikerin

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